Manchmal fällt die Übersetzung sogar eines einfachen allgemeinen Briefes schwierig. Besonders dann, wenn die Ideen in superlangen „Nebelsätzen“ verschwommen sind und erst entschlüsselt werden müssen. Dieses Problem kann leider auch in Fachtexten vorkommen. In diesem Fall muss sich der Übersetzer mit der mangelhaften Sprachkenntnis des Autors quälen. Sprache ist ein Kommunikationsmittel und die Kommunikation leidet, wenn das Sprachgeschick fehlt. Ich hatte einmal einen Finanzbericht zu übersetzen. Wenn auch es um einen sachlichen Text und eine Übersetzung aus meiner Muttersprache in meine zweite Sprache ging, war es mir schwierig, das Subjekt, also den Handelnden (Person oder Sachverhalt) vorzuahnen. Im Unterschied zum deutschen Satz braucht man im bulgarischen Satz das Subjekt nicht unbedingt zu nennen, sobald dieses aus dem Kontext zu erschließen ist. Was aber, wenn das Subjekt nur in den Gedanken des Schreibenden schwebt und nirgendwo im Text zu lesen ist? Mein Schuh begann massiv zu drücken, denn wie übersetzt man einen Finanzbericht, wenn ihm der Sinn entkommen ist? Bekannterweise sind Übersetzer nicht dazu da, um neuen Sinn zu kreieren.
Genau zu lesen und nach dem Sinn zu suchen ist ein Reflex, der genauso wichtig ist fürs Übersetzen wie die Kenntnis der beiden Sprachen selbst. Wie oft muss ich in meiner privaten Korrespondenz feststellen, dass eine Großzahl der Menschen leider nicht gewohnt ist, genau zu lesen. Ein anderer Aspekt der Übersetzerarbeit ist die kritische Auseinandersetzung mit dem Text. Dies betrifft nicht nur die Textebene (ist wirklich das gemeint, was ich denke?), sondern vor allem die Wortebene. Immer wieder muss man sich die Frage stellen: Spielt dieses Wort in diesem Text eine gewöhnliche Rolle oder geht es um ein neues Theaterstück, wo diesem Wort eine ungewöhnliche Rolle zugewiesen ist? Gerade in der Fachübersetzung ist auf Wortebene große Vorsicht geboten. Sehr oft ist ein gebräuchliches Wort in Fachtexten in einer ganz unterschiedlichen Verwendung und der Übersetzer tappt sehr schnell in die Falle. Es gilt also: mit Fachtexten immer die Augen offen halten. Ein anderer, sehr wichtiger Aspekt ist die Wortstellung. Es ist nicht zu übersehen, dass sich die Wortstellung im deutschen Satz von der Wortstellung im bulgarischen Satz unterscheidet. Im deutschen Satz kommt die wichtigste Information gewöhnlich am Ende. Jeder Übersetzer aus dem Deutschen kennt die Gefahr einer positiven Aussage, wo am Ende des langen deutschen Satzes plötzlich ein „nicht“ auftaucht. Übersetzer haben es besser als Dolmetscher, die dieses „nicht“ vielleicht auch nicht ahnen können. Im bulgarischen Satz ist die wichtigste Information dagegen sofort mitzuteilen, möglichst am Satzanfang. Eine andere Besonderheit ist die unterschiedliche Vorliebe beider Sprachen für bestimmte Wortarten. Während das Deutsche eine ausgeprägte Neigung zur Substantivierung und Bildung von zusammengesetzten Wörtern aufweist, bewundert das Bulgarische dagegen das Verb. Man muss also als Übersetzer unbedingt die Sprachbesonderheiten beachten, damit die Ideen auch im Zieltext genauso überzeugend ankommen, wie im Quelltext. Für mich ist die Übersetzung misslungen, wenn sie die Zielsprache zwingt, sich wie die Quellsprache zu verhalten. Dadurch klingt sie unnatürlich und bizarr. Dagegen ist die gute Übersetzung immer diese, die nicht merken lässt, dass es sich um eine Übersetzung handelt. |
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